Beim 'besten Freund des Bodens' sollte es nicht länger bleiben, als plötzlich eine feste Stimme Hagelstich aufhorchen ließ. Abrupt hob er den Kopf in Richtung Hochstein. Dort, wo sich sein Anführer erhoben hatte.
Hagelstich wusste nicht recht, ob er erleichtert sein sollte, dass man ihn zu sich zitierte, oder nicht doch lieber gerade dem Untergrund zum Opfer fallen wollte.
Doch die Bestimmtheit in Frosterns Ton nahm ihm die Entscheidung letzten Endes kurzerhand ab. So führten ihn seine Pfoten zu dem höher liegenden Felsen des Anführers, wo er sogleich hinaufblickte.
»Was ist?« Sein Ton klang etwas unhöflicher als gedacht. Dabei wollte er gar nicht derartig respektlos klingen ⎯ oder etwa doch? Zumindest tat Hagelstich sein Bestes, um diese drückende Laune bei sich zu bewahren.

Zusammen sein? Der Anführer wollte mit ihm Zeit verbringen? Hagelstich stutzte, wusste nicht recht, was er sagen sollte. Normalerweise hielten sich die Katzen lieber von ihm fern. Zumindest war er dies gewohnt. Dass @Froststern nun auf ihn zukam, um mit ihm zu verweilen, war für den jungen Krieger eine überraschende Wende, weshalb er auch erst zögernd auf die darauffolgende Frage antworten konnte.
»Uhm, ja. Ganz gut«, begann er, biss sich gleich darauf aber auf die Zunge. Denn um ehrlich zu sein, fühlte er sich bei Weitem nicht so, als würde es ihm 'ganz gut' gehen. Ganz gut ging es einem, wenn Elan den Geist durchströmte und ein genügsames Lächeln im Gesicht klebte. Nichts sprach bei Hagelstich auch nur ansatzweise dafür. Aber wieso sollte er das irgendjemandem ehrlich gestehen? Oder besser gefragt: Wieso sollte es irgendwen interessieren? Und was genau konnte es schon ändern? Er wusste schließlich selbst nicht, woher diese elende Trägheit kam.
»Und - ehm - wie geht's dir?« Der graue Kater versuchte, irgendwie darauf einzugehen. Wie man es eben machte. Doch man merkte, er war nicht gerade geübt darin, ein gewöhnliches Gespräch zu führen. Vor allem mit dem Anführer. Wäre es nicht Froststern gewesen, der ihn nach seinem Wohlbefinden gefragt hätte, wären wohl nichts als bittere Worte aus seiner großen Klappe gekommen. "Was geht dich das an!" oder "Kümmere dich um deinen eigenen Kram!"
Aber vor ihm war nicht irgendeiner seiner Clangefährten, sondern sein Anführer. Und dies machte ihn überraschenderweise etwas nervös. Er wollte nichts falsch machen, nicht komisch wirken und vor allem seine nervigen Ticks zurückhalten. Etwas, das sich noch nie als besonders wirksam erweisen konnte.

Bedrückt ⎯ ja, womöglich war es das, was er fühlte. Auch wenn er es von sich aus nicht zugeben würde. Nichtsdestotrotz wunderte es den grauen Krieger, dass es jemandem aufgefallen war. Oder nein, anders formuliert: Dass es jemandem aufgefallen war und dieser nicht schulterzuckend wieder drüber hinweggesehen hatte. Denn auffallen ist leicht; bedeutsam sein, erwies sich schon als schwieriger. Schließlich war Hagelstich doch nur ein mickriger, schräger Fellball, bei dem es nichts als Verschwendung wäre, sich um ihn zu scheren, stimmt's? Sein Vater würde an der Stelle wohl durch und durch nicken.
Sein eines Auge zuckte plötzlich, er musste blinzeln. Mehrmals hintereinander, obwohl er es zurückzuhalten versuchte. Ohne Erfolg. Erst die folgenden Worte des Anführers lenkten seinen auftretenden Tic ab.
»Verschwunden?« Verblüffung lag in seiner Stimme, während sich sein Schweif hin & her zu bewegen begann. Jetzt, wo Froststern es erwähnte: Wo war Silberklaue eigentlich abgeblieben? Instinktiv ließ Hagelstich seinen Blick einen Moment umherwandern. Tatsächlich hatte er seine ehemalige Mentorin heute noch gar nicht zu Gesicht bekommen. War sie eine der Verschollenen?
»Wer ist denn verschwunden?« Klang es komisch, das zu fragen? Sollte Hagelstich im Laufe des Tages nicht aufgefallen sein, wer nicht mehr unter seine Augen gelaufen war? Schließlich waren sie ein gemeinsamer Clan. Doch der Krieger hatte heute wohl tatsächlich mehr Käfer auf dem Boden krabbeln gesehen als irgendwelche Vierbeiner im Lager.

Als Froststern die beiden Namen enthüllte, begann auf ein Mal sein Herz wild gegen die Brust zu schlagen. Unangenehm und elend. Er wollte, dass es aufhört.
Silberklaue... Wieso musste jeder, der ihm auch nur einen Hauch an Glück ins Leben brachte, ihn entweder enttäuschen, verschwinden oder sterben? Silberklaue hatte ihn damals tugendhaft trainiert, eiserne Geduld mit ihm gehabt und ihn zu dem geschaffen, was er heute war. Ein Krieger des Clans. Vielleicht nicht der Beste, vielleicht nicht der Perfekteste. Aber einer, der es trotzdem würdig war, Teil des Clans zu sein. Selbst wenn andere es womöglich anders sahen.
»Nein...«, Hagelstich spürte wie trocken sein Mund geworden war. Er räusperte sich leise. »Mir gegenüber hat sie nichts erwähnt.«
Sein linkes Ohr zuckte, gleich darauf ein weiteres Mal. Auch seine Pfoten konnten jetzt nicht mehr still bleiben, standen auf und gingen aufgewühlt auf & ab. Anspannung, Nervosität, Unbehagen ⎯ er hasste es. Es machte ihn wahnsinnig, ließ seinen Körper mehr als üblich hibbelig werden.
»Clankatzen, die verschwinden... Das fehlt ja noch«, murmelte er zu sich selbst, hörbar sarkastisch. Wie konnte so etwas bloß passieren?
»Und es gibt wirklich gar keine Spur von ihr?« Hagelstich konnte seine Beine dazu zwingen, einen Moment stehen zu bleiben, während er wieder bewusst zum Anführer blickte. »Ich meine, von ihnen?«, korrigierte er sich sogleich.
Natürlich war es auch von Belang, dass Eishauch plötzlich fehlte. Eine Clangemeinschaft brauchte genügend Krieger. Krieger, die jagen, kämpfen, sich gegenseitig beschützen. Es war bedeutsam für den Clan. Aber eben auch bloß für den Clan. So schäbig es auch klingen mag, Hagelstich stand es gerade mehr um Silberklaue als um irgendwen sonst. Doch anders hätte man es von dem grauen Kater wohl auch nicht erwartet.